Wechseljahre – Satire

(Wechsel – Crisis)

Noch ein wenig angestrengter kneife ich meine Augen zusammen.
Die Schrift auf meinem Laptop mag aber nicht schärfer werden. Ich war eindeutig zu lange am Handy und meine Augen sind nicht mehr die einer Zwanzigjährigen, fühle ich mich knallhart mit der Realität konfrontiert.

Meine Augen, die dem Akkommodations-Jogging nicht mehr gewachsen sind, blicken kritisch auf meine Handrücken. Praktisch über Nacht haben sich ganz feine Fältchen in beachtlicher Zahl gebildet. Vor Entsetzen atme ich tief in meinen Bauch, als dieser aufgrund des plötzlichen Volumenanstiegs seine Fesseln sprengt und trotzig über meinen Hosenbund rollt – Flatsch.

»Macht hier jetzt jeder was er will?!« grolle ich übellaunig in mich hinein. Tief einatmen, bei gleichzeitiger Bauchkontrolle, ist nicht möglich, bezeugen das Paar träge Augen und erfassen die faltigen Hände. Deshalb atme ich auch nur höchst ungern im Beisein männlicher Gesellschaft. Mein Körper entgleitet mir – Ziel und Ankunft sind unbekannt.
Und ich bin mir ganz sicher, hier beginnt kein Abenteuer!

Diese Extraportion Gewicht ist noch nicht sehr lange bei mir. Es stahl sich vor etwa anderthalb Jahren unauffällig auf meine Hüften und auch überall daneben, drunter und drüber. Und ganz ehrlich, es war mir durchaus willkommen. Mit meinen damaligen 52 kg Körpergewicht, wurde mir nämlich ständig Essen angeboten. Das war mir neben dem beiläufig praktischen Effekt meistens sehr, sehr, sehr, sehr(!) unangenehm.

„Hinzugewonnen“ impliziert zunächst etwas Positives – Jackpot. Die Kombination mit Körpergewicht schmälert die Vorfreude auf den Gewinn. Ein unabweisbarer Nachteil von hinzugewonnenem Gewicht ist zum Beispiel, dass es offenbar ausschließlich im Multipack daherkommt. Gewicht gibt es selten einzeln. Und es findet seine Wege so zielsicher zu mir, wie Ameisen einer unsichtbaren Duftspur zu ihrer Beute folgen. Ich möchte trotzdem weiterhin von „hinzugewonnen“ sprechen. Einfach deshalb, weil es weniger negativ klingt. Ich übe mich in Achtsamkeit.

Die genaue Ursache, des im Multipack hinzugewonnenem Gewichts, konnte ich bislang nicht ergründen. Möglicherweise hat das etwas mit dem Gesetz der Entsprechung zu tun, welches u.a. besagt: „Gleiches zieht Gleiches an“. Tja. Und eigentlich weiß ich auch, dass das hinsichtlich des Körpergewichts totaler Quatsch ist.
Dem „Affen“ in meinen Kopf gefällt aber diese Idee.
Und es entbindet scheinbar von der Selbstverantwortung, genau zu wissen, dass alles, was ich mir zwischen die Mandeln drücke, sich auch irgendwo in meinem System ablegt und richtig blöde Sachen anstellt.
Übrigens, der Affe in meinem Kopf unterliegt keinen nennenswerten Alterungsprozessen. Ganz im Gegenteil. Seine Arme lässig vor seiner Brust verschränkt, lehnt er jugendlich-provokant an den manchmal schon etwas verkrusteten Strukturen meines Denkens. Der Schalk blitzt humorvoll aus seinen Augen und seine Lippen umspielt ein spitzbübisches Lächeln, während er nur darauf wartet, dass ich ihn gewähren lasse. Sein Charme nimmt die Schärfe aus den Dingen und bringt Spaß ins Leben.

Exponentiell hinzugewonnenes Gewicht im Multipack bleibt übrigens weder unbemerkt, noch ohne Folgen. Erst kürzlich hatte ich im Büro eine Situation, die mein Dilemma treffender nicht beschreiben kann: »Bist du da jetzt etwa gegengelaufen…?!« möchte die Kollegin von mir wissen und macht große Augen, als ich im vollen Lauf mit meiner linken Körperhälfte irgendwo anschlage – ohne jedoch auch nur für eine Sekunde meine Geschwindigkeit zu reduzieren, was wiederum sicherlich an meiner neuen Schwungmasse liegt – Physik und so…
Ich streiche über meinen Arm, der sich kurz anfühlt, als ob ich damit einen Wanddurchbruch erledigt hätte und bestätige lachend ihren Verdacht: »Ich bin mit meinen neuen Körpermaßen noch nicht so vertraut, gedanklich bin ich noch immer mit Kleidergröße 36 unterwegs«.
Nun lachen wir beide. Meine Röllchen nicken wohlwollend.

Der Lack ist also ab, ziehe ich Bilanz. Meine viel schlankere Version schwebte nahezu elfengleich durch unfassbar schmale Gänge. Indessen meine jetzige Version an den selben Stellen einfach steckenbleibt. Das ist so… plump, stelle ich fest.
Mein inneres Selbstbild ist meiner äußerlichen Erscheinung nicht gefolgt. Zählt das noch zur gesunden Selbstreflexion oder ist dies schon der Beginn einer Midlife-Crisis? überlege ich gedankenverloren, während ich mir meine Hände schuldbewusst mit Q10-Creme einschmiere.

Wie aber komme ich jetzt ausgerechnet auf „Midlife-Crisis“? Zur Midlife-Crisis assoziiere ich normalerweise Männer.
Männer, die sich nach fünfundzwanzig Ehejahren eine kichernde, junge Göre anlachen, die sich noch nach eigenem Gusto formen lässt und vom Alter her immer auch die eigene Tochter sein könnte. Gewissermaßen die Q10-Pflege des männlichen Selbstwert.

An diesem Punkt winkt meine 23-Jährige Version jugendlich strahlend aus der Vergangenheit und möchte verifizieren: nein, nicht die kichernde Göre – jedoch wirkte meine junge Version sehr ansprechend auf ältere Männer und war vielfach in Affären mit wem Verheiratetes verstrickt.
Damals funktionierte ich als Q10 – heute creme ich mit Q10.

Ich habe mich rückblickend nicht unbedingt mit Ruhm bekleckert, ist mir heute bewusst. Spüre ich deshalb Bedauern? horche ich in mich hinein. »Nein«, beantworte ich mir selbst reuelos die Frage.

Und auch ansonsten bilde ich beziehungstechnisch den gesellschaftlichen Negativabdruck. Was der übliche Durchschnitt in meinem Alter an Ehejahren vorweisen kann, zähle ich an Singlejahren. Die Gründe hierfür sind simpel:
Zum einen lassen sich verheiratete Männer nicht heiraten, zum anderen habe ich die Ehe nie angestrebt. Was nicht bedeutet, dass ich bei ganz seltenen Begegnungen nicht den Wunsch verspüre, diesen Mann abwerben zu wollen.
Auch habe ich schlichtweg kein Gespür für Scheidungswellen entwickelt, obwohl ich dafür nun wirklich ausreichend Zeit gehabt hätte.
Ich habe viele Männer und wenige Frauen kennengelernt. Von all diesen Menschen habe ich vor allem sehr viel über Menschen gelernt und auch über mich selbst. Untätig war ich also wirklich nicht. Außerdem gelte ich irgendwie als „schwarzes Schaf“ und ecke damit reichlich an.

Aber zurück zur Midlife-Crisis.
Ich googel die Begrifflichkeit und lese, dass die Midlife-Crisis den weiblichen Wechseljahren entspricht. »Aha«, staune ich verblüfft. Obwohl es so naheliegend ist, habe ich da nie Zusammenhänge vermutet, mir aber dazu auch ehrlicherweise nie Gedanken gemacht – bis zu exakt diesem Augenblick. Eigenständig löst ein Mechanismus in meinem Kopf aus und es entwickelt sich eine Art Flächenbrand aus Ideen, Möglichkeiten und Lösungen.
Diesen abgedroschenen Spruch „für etwas brennen“ versteht vermutlich niemand besser, als ich. Es ist ein bisschen, wie eine Feuerwerksrakete zünden und schauen, wohin und wie weit die Funken fliegen. Das kann bei der Problemfindung („Problemfindung“ wer hat sich dieses bescheuerte Wort ausgedacht?!) mitunter sehr erschöpfend sein, weil ich im Hintergrund immer an einer Lösung arbeite – einfach weiter „brenne“ und nur die Lösung auch die Löschdecke ist.

Deshalb und auch, weil ich sehr bildlich denke, stelle ich mir in Verbindung mit Wechsel-Crisis Szenarien vor, in denen Menschen erfolgreich reanimiert wurden. Wieso? Weil in diesem Zusammenhang manchmal von einer in Zeitraffer ablaufenden Rückschau des Lebens berichtet wird. Bei der „Rückschau“, werden Verfehlungen und schönen Erlebnisse binnen Sekunden vor Augen geführt. Zack, Film vorbei – tot, oder doch noch nicht tot.

Wechsel-Crisis begreife ich hingegen als Gegenstück dazu. Als den „Play-Button“ für alles Zukunftsorientierte und alles, was in der zweiten Lebenshälfte noch erlebt werden möchte.
Sie ist nicht allein die nochmalige Umstrukturierung des Körpers. Sie ist eine Haltestelle, bei der man entscheiden kann, ob man sein Leben hinterfragt, aussteigt und neu organisiert oder einfach bequem weiterfährt.

In den vergangenen sechs Jahren sind viele Menschen um mich herum gestorben. Der eigene Körper limitiert die verbleibenden Jahre. Das Leben kennt viele Beispiele, in denen es ganz schnell vorbei ist. Und ich frage mich, was habe ich erreicht? Was habe ich erlebt? Was wird noch kommen? Was ist mir entgangen? Habe ich meine Zeit bis hierher sinnvoll genutzt?
Und vor allem: wo zum Teufel sind die letzten zwanzig Jahre geblieben…?!

Fakt ist, laut Statistik werden Männer im Schnitt 78 Jahre alt und Frauen werden etwa 83 Jahre alt. Dies würde bedeuten, dass ich meine zweite Lebenshälfte bereits weit überschritten habe.
Rufe ich mir ins Gedächtnis, wie alt nur beispielsweise meine Eltern wurden, möchte ich meine Schrittgeschwindigkeit noch weiter erhöhen und Dinge noch schneller erledigen, um Zeit zu schaffen, für nur schöne Dinge, um sie mit Menschen zu teilen, die innen auch schön sind.

Bild: Pixabay, lizenzfreie Abbildung


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