»Du musst auch immer den Verkehr hinter dir im Blick haben!« haben mich 1996 die dringlichen Worte meines Fahrlehrers sehr geprägt. Leider. Ich schaue nämlich selbst dann in den Rückspiegel, wenn ich an einer roten Ampel stehe.
Und genau hier bin ich an einem Punkt in meinem Leben angekommen, es mir ganz dringend wieder abzugewöhnen.
Der Blick in den Rückspiegel offenbart Einblicke auf teils äußerst intime Verhaltensweisen meines Hintermanns – meines motorisierten Followers. Ich mutmaße gelegentlich, es seien magische Momente. Denn er/sie/es/sier scheint anzunehmen, der Lack des PKW enthält tarnende Substanzen.
Science-Fiction im ganz alltäglichen Berufsverkehr – real gelebt.
So werde ich also ungewollt Zeugin von Ehe- und weiterer Dramen und beziehe nebensächlich und ungewollt, Schmink-Tipps aus meinem Rückspiegel. Wie praktisch.
Bisweilen komme ich morgens sogar in den Genuss eines mir ganz besonderen Spaßes: Radiosender-raten. Unsere Spezies hat nämlich einige übelst gut gelaunte Morgenmenschen hervorgebracht, welche putzmunter irgendwelche Songs mitträllern – mit vollem Körpereinsatz. Es bereitet mir echtes Vergnügen zuzuschauen. Ist dieses Verhalten doch zumindest in den frühen Morgenstunden echt selten zu beobachten. Nur leidenschaftliche Knutschereien sind ja noch seltener.
Und was soll ich sagen? Diese gute Laune ist unfassbar ansteckend. Das Lächeln steht auch mir und ich trage es, bis ich auf der Arbeit angekommen bin. Naja, bis mich die Erkenntnis trifft, mir meinen Parkplatz schon wieder regelrecht erjagen zu müssen.
Etwas Fingerspitzengefühl, eine ordentliche Portion Humor und Geduld sind aufgrund der allmorgendlichen Parkplatz-Not erforderlich. Wir PKW-Pendler leisten bereits Großartiges, bevor wir überhaupt eingeloggt sind.
Mein Arbeitgeber hat bisher nämlich nicht die Notwendigkeit erkannt, uns doch einfach mal ausreichend Parkraum zur Verfügung zu stellen. Sehr zu meinem Bedauern. Und wir sind übrigens viele Parkplatz-Suchende. Hier, direkt an einem schönen See. In dieser schönen Stadt. Ich hoffe doch, ich verletze hier nicht die DSGVO?
Einem destruktiven Rappel in dieser allmorgendlichen Situation nicht nachzugeben, zeugt von knallharter Übung in Selbstdisziplin. Ich bin da aber selbstverständlich ganz in meiner Mitte.
Aber ich schweife ab! Radiosender-Raten: ich habe es mir zum Spaß gemacht, anhand der Gestik zu erraten, ob wir den gleichen Sender hören. Natürlich nur, sofern eine geringe Lautstärke ein Erraten auch ermöglicht. Das ist langweilig? Nein.
Aber wo Licht ist, da wirft es auch Schatten…
Nebst den übelst gutgelaunten Morgenmenschen, die mir unwissentlich meinen Tag versüßen, bewohnen auch Langschläfer diesen wunderschönen Planeten. Jene sind ebenfalls im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis – hoffentlich. Und sie nutzen sie auch.
Langschläfer sind unberechenbar. Solche, die morgens alles auf den letzten Drücker erledigen. Solche, die eine Strichliste mit sich führen, wie oft sie jemanden die Vorfahrt genommen haben. Solche, die, in Ermangelung von Zeit, ihre Morgentoilette im Rückspiegel ihres PKW erledigen. Solche, die sich in einem scheinbar unbeobachteten Moment, ihren Finger in irgendwelche Öffnungen des Kopfes schieben, um letztlich den verunreinigten Finger wiederum oral zu säubern.
Und was für eine Leidenschaft dabei zu beobachten ist. Die macht mich ja immer ganz besonders sprachlos. Da bin ich immer ganz ergriffen – von einer Mischung aus Faszination und Fassungslosigkeit. Leidenschaft wird meiner Meinung ja nur noch in romantischen Märchen gelebt. Aber wie ich dann da so stehe. In meinem blauen Auto. An einer roten Ampel. Da lerne ich ganz neue Facetten und Leidenschaft kennen.
Angewandte Verhaltenspsychologie – im Blick meines Rückspiegels.
Geschlecht, Alter und sozialer Status scheinen übrigens keinen nennenswerten Einfluss auf jene „Facetten“ zu haben. Machtgefälle und Zweiklassengesellschaft finden ihr jähes Ende an irgendeiner roten Ampel – den Finger wonnig in der Nase versenkt.
Rasch schraubt sich der Finger in die Nase. Oder auch ins Ohr – was ich aber keinesfalls für harmloser befinden möchte! Ganz flink, wahlweise mal rechts oder auch mal links. Und genauso schnell verschwindet der Finger dann im Mund… Und an eben jener Stelle geht mein allerherzlichster Dank an meinen damaligen Fahrlehrer, welcher mich nicht auf derartiges vorbereitet hat. Ekel legt sich wie ein Schauer über meine Netzhaut.
Mit viel Phantasie und gutem Willen wäre jetzt vielleicht sogar eine Spur Erotik erkennbar. Bei so viel gelebter Leidenschaft. Morgens habe ich aber noch nicht viel Phantasie. Und von einem G-Punkt in der Nasenschleimhaut habe ich auch noch nie gehört. Aber ich weiß ja auch längst nicht alles.
Ja… meine analogen Follower überraschen mich stets aufs Neue. Danke für die tiefgründigen Einblicke in die menschliche Natur…
Bild: Pixabay lizenzfreie Abbildung
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Ein Kommentar zu „Der Ekel lauert im Auto Rückspiegel“