Oktober 2011
(…)
Mühsam sog ich die Luft in meine Lungen und blinzelte in grelle Neonröhren. Es war fast still. Nur vereinzelt ertönte das regelmäßige Piepen eines Überwachungsgeräts. Ich fror und eine Welle der Übelkeit schüttelt mich. Suchend schweiften meine Augen träge umher. Langsam drehte ich meinen Kopf und fand endlich eine Uhr. Eine Atemmaske rutschte mir über die Wange. Ich zog sie zurecht.
Warum konnte ich die Uhrzeit nicht erkennen? Alles war verschwommen. Wieviel Zeit mochte vergangen sein? Weiter tastete mein Blick durch den riesigen Raum. Ich war nicht alleine, ich hörte leise Atemzüge. Da waren noch viele andere im Aufwachraum. Soweit ich erkennen konnte, trugen einige eine Atemmaske. Darüber beruhigt ließ ich meinen Kopf wieder tiefer ins Kissen sinken.
»Geht es ihnen gut?« wurde ich unsanft aus meinem Dämmerschlaf entrissen. Erschrocken sah ich auf. Nach kurzem Überlegen nickte ich. Zufrieden stellte ich fest, dass mein Blick wieder die gewohnte Schärfe hatte. Ja, es ging mir wieder gut. Die Übelkeit war verflogen und mein Atem war nun wieder ruhig und gleichmäßig.
(…)
Grelle Neonröhren und gekachelte Wände zogen an mir vorbei. Alles wirkte steril und sehr aufgeräumt. Man schob mich auf mein Zimmer. Wir waren etwa zu fünft auf dem Zimmer. Ein unruhiger Schlaf überkam mich ein weiteres Mal. Ich fühlte Blicke auf mir ruhen und wollte schauen, wer da ist. Wie hatte ich es nur geschafft, mich auf den Bauch zu drehen? Mühsam drehte ich mich, dass ich das Fußende des Bettes sehen konnte. Ein Arzt stand an meinem Bettende und lächelte mir aufmunternd zu. Erneut überkam mich der Schlaf. Türen schlugen. Es herrschte immerzu geschäftiges Treiben. Überall schien es zu piepsen und zu summen. Knatschige Patienten werden umsorgt.
(…)
Auf „Krücken“ humpelte ich zum Parkdeck. Nach achtundvierzig Stunden war ich also bereits wieder entlassen. Ich wurde abgeholt. »Alleinerziehende und Raucher sind sehr schnell wieder mobil« versicherte mir eine Schwester zuvor in der Klinik. Und die musste es ja schließlich wissen. Ihr Erfahrungsschatz hatte sich nach meiner OP um eine Patientin erweitert. Unnachgiebig weigerte ich mich, Erleichterung auf der Bettpfanne zu suchen. Sichtlich genervt von mir, aber mit einer unglaublichen Gelassenheit schob sie mir einen Toilettenstuhl ans Bett. Allerdings weigerte ich mich diesen zu benutzen. Ihre Überredungskünste fanden bei mir kein Gehör. Ich blieb stur. So schob sie mich schließlich mit dem Toilettenstuhl zur Toilette. Also war ich doppelt so schnell wieder mobil. Schließlich bin ich alleinerziehend UND Raucherin.
Im trauten Heim angekommen, hatte mich der Alltag schnell fest im Griff. Eine frisch operierte Hüfte belastet man nicht. Ich spürte jeden Schritt, allerdings ignorierte ich den Schmerz. Für mich war alles wie immer. Nur ein wenig anders. Ich war etwas anders. Ungeduldiger. Irgendwie funktionierte ich nicht wie sonst – ich war mir vertraut und zugleich fremd. Ich schien nicht nur in meiner Bewegung eingeschränkt. Scheinbar verlegte ich jetzt ständig irgendwelche Sachen und vergaß wohin ich sie gelegt hatte.
Meine Tochter reagierte zunächst sehr verärgert: »Das hast du doch gerade dort hingelegt!« »Ich weiß nicht, aber du hast es heute Vormittag noch in der Hand gehabt!« »Willst du mich jetzt veräppeln? du hast doch…!«
Täglich hatten wir solche oder ähnliche Dialoge und ich fühlte mich schlecht damit. Wieso zur Hölle verlor oder verlegte ich jetzt ständig Dinge? Ihre beunruhigenden Blicke ruhten immer häufiger auf mir. Zu den beunruhigten Blicken meiner Tochter, gesellten sich bald auch die beunruhigten Blicke meiner Mutter. Was war mit mir passiert?
Bisher war ich nur auf Krücken mobil. Und weil das irre anstrengend war, wurde der der Fernseher mein bester Freund.. Zumindest für die nächsten Wochen. Und der bot mir viel Unterhaltung. Das meine ich völlig ernst. Meine Tochter wies mich jedoch häufig und mit immer schärfer werdenden Unterton zurecht, dass ich den Film doch schon kannte. Huch! Echt? Verflixt.
(…) Natürlich war ich längst nicht fit. Kleinere Dinge einkaufen gehen wollte ich trotzdem. Allmählich bekam ich einen Lagerkoller. Und nun stand ich da im REWE. Mit zittrigen Fingern hielt ich die Einkaufsliste und starrte abwechselnd hektisch in die Gänge und auf meine Liste. Mir war richtig heiß – es war ein kühler Novembertag.
Aus einer vagen Vorahnung wurde plötzlich Gewissheit. Ich wusste, dass ich mal wusste, wie der REWE sortiert ist. Und dass ich es nun nicht mehr wusste, traf mich wie ein Schlag. Ich konnte es kaum mehr ignorieren. Nun war ich zum Glück nicht ganz allein – obwohl ich mich so fühlte. Meine Tochter lief nur wenige Meter vor mir. Mein Unbehagen gänzlich abzuschütteln gelang mir dennoch nicht. Ich kämpfte mit den Tränen.
(…)
Ich zog eine Nummer und setzte mich auf den harten Stuhl in der Wartehalle. Ich hatte einen Termin zur Vorstellung in die „Sportsprechstunde“ des UKM in Münster. Ich hatte genügend Zeit. Das Prozedere in der Uniklinik war mir inzwischen vertraut. Man bekommt einen Termin, zieht eine Nummer und wartet noch etwa eine Stunde in der Wartehalle, bis man aufgerufen wird.
Ich vertrieb mir die Langeweile und beobachtete die Leute. Ich war umgeben von Schwerstkranken. Ich war dort deplatziert, fand ich. Ob ich einfach wieder gehen sollte? »Frau M.!« wurde ich da aber schon laut von irgendwoher aufgerufen. Und so trottete ich dem Arzt hinterher.
»Wie geht es Ihnen? was macht die Hüfte? darf ich mal sehen? trafen mich Fragen so schnell, wie Pfeile. »Gu…, tut w.., äh…« stammelte ich unbeholfen und da wurde auch schon meine Hüfte fachmännisch begutachtet und auch gebeugt und gestreckt. »Prima!« strahlte mich der Herr Doktor zufrieden an. »Hmh, ja schon« entgegnete ich vorsichtig. Fragend schaute er zuerst auf meine Hüfte und begegnete meinem Blick.
»Ich habe da ein Problem…« begann ich, ihm mein ganzes Dilemma zu schildern. »Oh, ach…« begann er ratlos. »Davon habe ich noch nichts gehört« ließ er mich letztlich wissen. »Aber ich frage mal schnell den Chefarzt« und damit ließ er mich zunächst alleine.
»Ja, Frau M.« setzte nun der Chefarzt mit professionellem Tonfall die Unterhaltung fort: «kognitive Störungen können tatsächlich infolge der Narkose auftreten. Hauptsächlich davon betroffen sind Patienten fortgeschrittenen Alters und bildungsschwache Patienten«
Stoßweise rang ich um Atem.
»Nun, ich weiß nicht… Sie sind ja noch recht jung…« setzte er nach.
Mit einer Überweisung zum Neurologen in der Hand, verließ ich steif den Behandlungsraum. Einen Termin habe ich nie gemacht…(!)
(…)
Milde Luft umschmeichelte uns. Inzwischen war es Mai 2012. Die Vorfreude auf saftige, rote Erdbeeren zauberte mir ein Dauergrinsen ins Gesicht. Die Beifahrertür wurde zugeschlagen und meine Mutter plumpste neben mir in den Beifahrersitz. Ich startete den Motor… und merkte, ich wusste den Weg nicht mehr…
Bild: Pixabay

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*schnüff* :( erste mal, dass ich das so lese …
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…ich kann nicht gut erklären.
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selbst wenn das so wäre – man kann mitfühlen.
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